Ausgabe vom 19. September 2020 - Geniessen & Erleben

Provokative Therapie

Unalltägliche Alltagsgeschichten

hs. Es gab zumindest eine Konstante in seinem Leben, eigentlich seit seiner frühen Schulzeit: Er kam immer zu spät.
Was hatten seine Lehrer alles versucht, um ihm Pünktlichkeit beizubringen: Strafaufsätze, Abschließen der Klassentüre zum Unterrichtsbeginn, dem zu spät Gekommenen Wissensfragen stellen... - vergeblich. Irgendwann resignierten sie. Sie warnten ihren Schüler, dass er später im Berufsleben mit nicht so viel Verständnis rechnen könne.

Er war deswegen tatsächlich etwas beunruhigt. Doch kurz nach Beginn seiner Ausbildung wurde in seinem Betrieb Gleitzeit eingeführt - nicht wegen ihm, aber zu seinem großen Glück.

Im Studium brachte er es tatsächlich fertig, zu einer wichtigen Diplomprüfung zu spät zu kommen. Er kassierte nur deshalb eine schlechtere Note, weil er nicht mehr alles, was er wusste, zu Papier bringen konnte.

Mit seiner Ehefrau hatte er großes Glück - schon deshalb, weil sie auch nicht die Pünktlichste war.

So zog sich die Unpünktlichkeit durch sein Leben, bis er, sozusagen im Spätherbst seiner beruflichen Laufbahn, ein Seminar machte. Es ging darum, Verkaufsmitarbeiter zu führen. Er hatte zwar überhaupt keine Verkaufsmitarbeiter, sondern arbeitete als Soloselbständiger. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Jedenfalls saß er an seinem Schreibtisch in diesem Seminar - wegen Corona fand es online statt - und beschäftigte sich auch damit, wie man Mitarbeiter coached.

Beim Coaching will man ja - vereinfacht dargestellt - dem Klienten durch verschiedene, zum Teil sehr wirksame Techniken dazu verhelfen, sich positiv weiter zu entwickeln und auch Schwächen abzulegen.

In diesem Verkaufstrainer-Seminar wurde auch eine ganz besondere Form des Coaching vermittelt: Die provokative Therapie.

Normalerweise versucht man im Coaching durch wertschätzende Fragen und positive Bilder etc. im Gegenüber, - dem sogenannten Coaché - den Willen und die Begeisterung für positive Veränderungen zu entfachen.

Bei der provokativen Therapie ist es genau andersherum. Man begeistert sich für die Verhaltensweisen, von denen sich der Coaché ja eigentlich befreien soll. Man bestärkt ihn darin, ja nicht in seinem Schwächen nachzulassen, sondern sie möglichst noch weiter auszubauen. Das betreibt oder übertreibt man so intensiv, dass dem Coaché die Sache allmählich etwas "spanisch" vorkommt. Sprich: In ihm regen sich Zweifel und Widerstand, ob das wirklich so gut ist, was sein Coach derart eindringlich an Fehlern lobt. Und dieses Unbehagen kann dann die Keimzelle dafür werden, dass der Gecoachte sein Verhalten zum Positiven verändert.

Das klingt ziemlich theoretisch. Doch in diesem Verkaufsseminar beließ man es nie bei der Theorie. Es gab stets praktische Übungen. Mit anderen Worten: Unser Zuspätkommer bekam gleich eine Seminarteilnehmerin zugewiesen, um sich gegenseitig zu coachen, natürlich nach der provokativen Therapie.
Als er an der Reihe war, gecoacht zu werden, sagte er zunächst sein Thema: "Ich komme oft zu spät".

"Wie sehr", fragte seine Übungspartnerin, die ja jetzt in der Coach-Rolle war.
"Vielleicht zehn bis fünfzehn Minuten."
"Das lohnt sich doch gar nicht"
Er stutzte: "Wieso?"
"Wenn Du zu spät kommst, dann richtig, gleich mindestens eine halbe Stunde, sonst lohnt es sich ja nicht."
"Oh Gott, ich kann doch meine Kunden nicht so lange warten lassen".
"Wenn es gute Kunden sind, warten sie, wenn sie nicht warten, sind sie ohnehin nicht gut für Dich.
Das wollte dem Coaché überhaupt nicht einleuchten. Er brauchte jeden Kunden,  deswegen war er ja auch auf solchen Verkaufsseminaren. Er erwiderte:
 "In Brasilien würde das vielleicht gehen, da kommt man ja eh' immer zu spät."
"Wie spät denn?"
"Eine Stunde ist da gar nichts."
"Dann geh' doch nach Brasilien, da bist Du mit Deiner halben Stunde Verspätung ja noch super pünktlich."
"Brasilien, was soll ich denn da? Ich kann ja nicht mal die Sprache."
"Die kannst Du lernen. Stell' Dir vor, Du kannst zu spät kommen, so viel Du willst, und bist immer noch der Pünktlichste."

Er war inzwischen davon überzeugt, dass er lieber pünktlich sein will, als nach Brasilien zu gehen oder seine Kunden zu ärgern.

Die in dem Seminar für solche Übungscoachings vorgesehene Zeit neigte sich dem Ende zu.

Sein Gegenüber schlug ihm noch vor, dass er künftig für jede Minute, die er zu spät kommt, einen Euro spendet. Dies gehörte vermutlich nicht mehr zu einer provokativen Therapie, leuchtete ihm aber sofort ein. Schon sein Vater hatte zu ihm gesagt: "Geld ist das einzige, was bei Dir wirkt."

Seit diesem Coaching schreibt er jede Minute auf, die er zu spät kommt. Am Jahresende folgt dann die Überweisung an einen guten Zweck. ,Auf seinem "Spendenkonto" haben sich in vier Monaten 157 € angesammelt, also 157 Minuten. Das ist für seine früheren Verhältnisse sensationell wenig. Die Zahlen bestätigen, was er auch sonst an sich beobachtet: Er ist noch nicht restlos geheilt, aber auf einem guten Weg.


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