Ausgabe vom 28. Februar 2015 - Geniessen & Erleben

Von gefüllten Lindenblättern bis zu den 100 Jahre Perlen

Wildpflanzen - Essen direkt von der Wiese und aus dem Wald

hs. Sorgenvoll lag Daniel Zügel eines Nachmittags in der Hängematte. Es war September 2008. Die  Finanzkrise war in voller Blüte. Der Diplom-Physiker fragte sich, was wohl passiert, wenn die Wirtschaft komplett zusammen bricht? Wenn es keine Arbeit, kein Geld gibt? Wenn wir uns kein Essen kaufen können? „Dann müssen wir“ - überlegte er - „in die Natur, uns dort was zum Essen suchen. Aber wie und was? Ich kann ja nicht einfach irgendwelche Pflanzen verspeisen. Sie könnten ungenießbar oder giftig sein.“ Die Wirtschaftskrise verschwand, aber Daniel Zügels Interesse an der Ernährung in freier Natur blieb. Er nahm regelmäßig an Kräuterspaziergängen teil und las Literatur über essbare Wildpflanzen. Er probierte und erfand Gerichte und Mixgetränke - die sogenannten Smoothies - aus den gesammelten Wildpflanzen.  Und er bemerkte mit Erstaunen, dass einige gesundheitliche Probleme verschwanden, je mehr die Kost von Wald und Wiese Einzug in seinen Alltag hielt. Der neuen Leidenschaft verdankt Daniel Zügel sogar einen anderen Wohnort und eine zweite Hochschulausbildung: 2013 zog er bewusst aus der Großstadt in die Natur, auf die schwäbische Alb, ins schöne Bernstadt. Und 2014 absolvierte er an der Hochschule Nürtingen-Geislingen die zertifizierte Ausbildung zum Fachberater für Selbstversorgung mit essbaren Wildpflanzen. Mittlerweile ist Daniel Zügel als Dozent und Lehrer für Wildpflanzen tätig. Er hält Vorträge. Er veranstaltet Kurse und Seminare, vom Spaziergang durch die „essbare Natur“ bis zum gemeinsamen Kochen eines 5 Gänge-Wildpflanzenmenüs. Und er gibt auf der folgenden Seite einen Einblick, wie wir die Köstlichkeiten der freien Wildbahn genießen können.

Was bringen uns die Wildpflanzen?

  • Sie sind überall und gut zu finden.
  • Wenn wir etwa zehn von ihnen kennen, genügt dies für einen Einstieg. Wir können dann schon Gerichte und Smoothies herstellen
  • Das Wissen um die Wildpflanzen ist leicht zu erlernen und schwer zu vergessen. Giftige Exemplare gibt es selten; man muss sie natürlich unbedingt kennen.
  • Die Wildpflanzen stärken mit ihren verschiedenen Inhaltsstoffen unseren Organismus und können die Gesundheit fördern.
  • Außerdem schmecken sie - bei richtigem Sammeln und Zubereiten - sehr ursprünglich und gut.
  • Wildpflanzen führen zurück zur Natur, entschleunigen das Leben und sind ein Hobby für die ganze Familie.

Wildpflanzen zubereiten und genießen

Wildpflanzen - Wildkräuter

Die Begriffe sind nicht klar voneinander abgegrenzt. Manchmal unterscheidet man danach, in welcher Menge die Pflanze verwendet werden kann: Wildpflanzen eignen sich für eine umfangreiche Mahlzeit, Wildkräuter dienen nur als Würze.

Inhaltsstoffe

Wildpflanzen und -kräuter enthalten Eiweiß, Fette, Vitamine, Mineralstoffe und die sogenannten sekundären Pflanzenstoffe. Das sind beispielsweise verdauungsfördernde Bitterstoffe in Löwenzahn und Gänseblümchen oder entzündungshemmende Schleimstoffe in Lindenblättern

Gut zu wissen

Der Milchsaft des Löwenzahnes ist ungiftig, die ganze Pflanze kann gegessen werden. Vogelbeeren sind gekocht (!) nicht giftig. Selbst ein bis fünf rohe Beeren schaden einem Erwachsenen nicht. Bucheckern müssen geröstet werden, sonst drohen Magenbeschwerden. Aus jungen Fichtenspitzen lässt sich eine sehr leckere Marmelade herstellen.

Gefüllte Lindenblätter mit Schafskäse:

Aus kleingehackten Tomaten, Cashewnüssen, Schafskäse, etwas BalsamicoEssig, Salz/Pfeffer eine Masse erstellen. Jedes Lindenblatt mit der Menge eines Teelöffels der Masse bestreichen und zusammenrollen. Sollten die Lindenblätter nicht zusammenhalten, lassen sie sich mit einigen gekochten Spaghetti (al dente) zusammenbinden. Lindenblätter kann man ab dem Frühjahr bis ungefähr Juli sammeln. Danach sind sie weiter essbar, aber härter und trockener. Sie eignen sich dann besser gemixt im Smoothie. Lindenblätter gehören nicht in die Suppe. Denn sie werden beim Kochen schleimig und machen Gerichte unansehnlich.

Die „100 Jahre-Perlen“:

Sie kochen 1 Liter Maß Vogelbeeren - das heißt eine Menge Vogelbeeren, die dem Volumen eines Liters entspricht - mit 400 ml Birnendicksaft fünf Minuten lang auf. Den Birnendicksaft gibt es im Reformhaus. Sie können stattdessen 200 ml Agarvendicksaft und 200 ml Wasser verwenden. Beim Aufkochen zerfallen die Giftstoffe, die Bitterstoffe werden reduziert. Nach Abgießen der Beeren bleibt VogelbeerenBirnendicksaft übrig. Dieser lässt sich zu Marmelade oder Sirup verarbeiten. Die abgegossenen Beeren können eingefroren werden. Sie sind eine Basis für Kuchenfüllungen, als Müslizutat und für Nachtische. Wieso heißen sie „100 Jahre-Perlen“? Weil man nach alter Sage bei ihrem regelmäßigem Verzehr 100 Jahre alt wird.

Bilder der einzelnen Wildpflanzen finden sich auf www.floraweb.de.

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