Wie übersetzt man ein Formular?
Unalltägliche Alltagsgeschichten von Bettina Ostermann
hs. Wer die Dienste einer Behörde oder gemeinnützigen Organisation in Anspruch nimmt, füllt dafür in der Regel ein Formular aus. Flüchtlinge, die neu in unser Land kommen, benötigen zwangsläufig viel Hilfe und müssen daher umfangreiche Fragebögen bearbeiten. Nur wie? Sie verstehen gewöhnlich die in Deutsch formulierten Fragen ebenso wenig wie der zuständige Sachbearbeiter Antworten in ihrer Heimatsprache.
Also muss im ersten Schritt das Formular übersetzt werden in die Sprache des Asylsuchenden. Das ist kein Problem, wenn dieser beispielsweise aus England kommt. Denn Englisch beherrschen fast alle Übersetzer. Doch welcher Engländer - Brexit hin oder her - stellt in Deutschland schon einen Asylantrag?
Unsere Flüchtlinge kommen vielmehr aus Ländern, deren Sprachen sich selten im Repertoire hiesiger Übersetzer finden. Die Fachübersetzerinnen Bettina Ostermann und Katrin Voß-Lubert übersetzen zwar in Englisch und Französisch, aber der Auftrag, den sie kürzlich erhielten, ging weit darüber hinaus: Gewünscht war, einen sieben DIN A 4-Seiten umfassenden Fragebogen auch in Farsi, Arabisch, Kurmandschi und Tigrinya zu übersetzen. Farsi (Persisch) wird unter anderem im Iran und in Afghanistan gesprochen, Kurmandschi in kurdischen Regionen und Tigrinya in Eritrea und Äthiopien.
Doch Bettina Ostermann übersetzt nicht nur, sondern engagiert sich auch in der Flüchtlingshilfe. Sie hat also schon vielen Menschen geholfen, in unserem Land besser Fuß zu fassen. Und einige von ihnen haben nun ihr geholfen, nämlich beim Übersetzen des Fragebogens:
Tigrinya
Mohammud Ibrahim Idris (im Bild links) arbeitet als Aluminiumgussputzer und Tumzgi Gebrezgabiher ist bei einer Zeitarbeitsfirma tätig. Die beiden Eritreer hatten in ihrer Heimat das Abitur oder einen vergleichbaren Schulabschluss absolviert. Sie leben noch im Flüchtlingsheim und übersetzten in Windeseile den Fragebogen in Tigrinya. Dafür wollten sie kein Geld: „Du hast uns so viel geholfen, jetzt helfen wir Dir.“ Doch natürlich erhielten sie, wie alle übrigen Übersetzer, die marktübliche Vergütung.
Arabisch
Mohamad Mograbi macht gerade eine Lehre als KFZ-Mechatroniker und Gwan Baklaro ist Auszubildender für Fachinformatik. Beide waren mit syrischem Abitur nach Deutschland gekommen und übersetzten den Fragebogen ins Arabische.
Kurmandschi
Gwan Baklaro spricht auch Kurmandschi. Das Problem war nur: Er kann es nur bedingt schreiben. Denn in Syrien war es bis vor kurzem verboten, Kurmandschi zu
schreiben. Deswegen gab er schwierige Begriffe in seinen „Freund Google“ ein und beurteilte, ob die Übersetzung Sinn macht. Das bei allen Übersetzungen vorgeschriebene Korrekturlesen übernahm die Deutsch-Kurdin Elif Arslan.
Farsi
Ähnliche Schwierigkeiten zeigten sich bei der Übersetzung in Farsi. Hier hätten zwei Afghanen gerne geholfen. Der eine hatte gute Deutschkenntnisse, konnte jedoch Farsi nur sprechen und nicht schreiben. Beim anderen war es genau umgekehrt: Er beherrschte die persische Schrift, aber nicht ausreichend die deutsche Sprache. Doch über das Landratsamt Neu-Ulm lernte Bettina Ostermann die seit rund 12 Jahren in Deutschland lebende Iranerin Masoumeh Khosravi kennen. Die studierte Volkswirtin sprang ein und übertrug gemeinsam mit ihrem Mann Mohammad den Fragebogen perfekt in Farsi.
Das Projekt wurde somit erfolgreich abgeschlossen und im Landratsamt Neu-Ulm unter dem Titel „Von Flüchtlingen für Flüchtlinge“ vorgestellt. Positiver Nebeneffekt: Durch einen Tipp seiner Übersetzungskollegin Masoumeh Khosravi fand Mohamad Mograbi endlich eine Wohnung. Und nun steht schon eine neue Herausforderung an: Die vielen Antworten auf den Fragebogen müssen ja auch übersetzt werden.
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