Gemütlich gefangen
Unalltägliche Alltagsgeschichten
hs. Alle zwei Wochen kamen zwei freundliche Putzfrauen, um eine Stunde lang die Wohnung eines Herrn im fortgeschritten Alter wieder auf Vordermann zu bringen. Der Wohnungsinhaber ging währenddessen auf den Balkon, um nicht im Wege zu sein. An der frischen Luft machte er gymnastische Übungen, die ohnehin ab und zu nötig waren. Im Winter war der Balkonaufenthalt kein Genuss und dauerte meist nicht lange, weil der Herr rasch wieder in die warme Wohnung flüchtete.
Im Sommer hingegen konnte man es draußen gut aushalten. Der Herr dehnte und streckte sich, bis ihm die Damen zum Abschied durch die Balkon-Glastüre zuwinkten und die Wohnung wieder frei war.
Genauso lief es auch an einem warmen Dienstag im Juni ab. Die Putzfrauen reinigten die Wohnung. Eine von ihnen putzte auch die Glastüre zum Balkon und drückte sie danach sorgfältig zu, vermutlich damit keine Mücken in die Wohnung kommen. Nach dem Abschied nahm der Mann sein Handy und wollte zurück in die Wohnung. Doch das ging nicht. Die Glastüre war zu.
Die Reinigungskraft hatte sie nicht nur zugedrückt, sondern zugeschlossen, sprich: den Türgriff nach unten geklappt.
"Kein Problem", dachte sich der Gefangene, "die Putzfrauen sind ja noch im Hausflur. Wenn sie das Haus verlassen wollen, rufe ich ihnen zu, sie sollen wieder hoch kommen und mich befreien." Doch der kluge Plan funktionierte nicht. Denn anstatt wieder zur Wohnung im dritten Stock zu stürmen, schauten ihn die Damen ratlos an. Ihm wurde klar: Was sollten sie da oben tun? Sie kamen ja nicht in die Wohnung rein. Denn die Wohnungstüre hatten sie hinter sich zugezogen, und der Schlüssel lag drinnen an seinem Stammplatz auf einem Sekretär neben dem Eingang.
Es war eindeutig, die Damen konnten ihm nicht helfen. Obwohl es ihm schwerfiel rief er ihnen zu, dass sie weiterfahren können. Sie schauten ungläubig, zögerten und fuhren nach einer Weile weg.
Zum Glück hatte der Mann sein Handy mit auf den Balkon genommen. Er rief seine Frau an. Die musste schallend lachen, als er ihre seine Lage schilderte. Auf die Idee, dass daran etwas lustig sein könnte, war er noch gar nicht gekommen. Er sagte: "Kannst Du kommen, mich befreien?" "Ja natürlich", erwiderte sie, "ich stehe nur auf der A 8 im Stau, vor Esslingen. Ich wollte eine Freundin besuchen. Wenn sich der Stau aufgelöst hat, fahr ich kurz zu ihr, trinke schnell einen Kaffee und komme dann zu Dir." Der Mann sah sich schon Stunden auf seinem Balkon ausharren. Da fiel seiner Frau ein, dass ein Freund von ihnen ja ebenfalls einen Wohnungsschlüssel hatte. Der Mann wunderte sich, dass er nicht selbst daran gedacht hatte. Er rief dort an. Der Freund musste schallend lachen, als er hörte, worum es ging. Dann setzte er sich aufs Motorrad und begab sich auf den Weg zu dem Ehemann, dem allmählich die Gymnastikübungen ausgingen und der heilfroh war, dass er vor seinem doch recht lang gewordenen Balkonaufenthalt wenig getrunken hatte.
Der Freund tuckerte auf dem Parkplatz unter dem Balkon ein, rief hoch, "Du machst ja gar keine Gymnastik mehr", befreite den Ehemann und bewährte sich damit - wie schon so oft - als Retter in der Not.
"Es macht Spaß, Leuten zu helfen!"
Anita Kurtovic über ihre Ausbildung und Karriere als Pflegefachfrau