Ausgabe vom 31. Mai 2014 - Besser Leben

Erfahre mehr über Dein Inneres: Schau in den Spiegel

Mehr Menschenkenntnis durch Psycho-Physiognomik

Sind lockige Menschen besonders mutig? Gesagt haben soll das der griechische Philosoph Aristoteles, einer der bedeutendsten Denker der Antike. Einige der Schriften, die man ihm zurechnet, ziehen aus dem Aussehen eines Menschen Rückschlüsse auf den Charakter. Und eine der Folgerungen lautet eben: Wer ein so lockiges Haupt hat wie ein Löwe, hat auch ein so unerschrockenes Herz wie der König der Tiere.

hs. Was manche aufgeklärten Zeitgenossen zunächst belustigen mag, wird schon seit über dreitausend Jahren betrieben: Die Physiognomik, also die Lehre von den Körpermerkmalen und -kennzeichen. Sie will aus dem äußeren Erscheinungsbild eines Menschen Erkenntnisse gewinnen über sein Inneres: Was für ein Wesen hat dieser Mensch? Wie kommuniziert er? Wie handelt er und wie schnell? Wo liegen seine Stärken? Wodurch kann er sich motivieren? Wie ist es um seine Gesundheit bestellt ... Um solche Fragen zu beantworten, betrachtet die Physiognomik unter anderem den Körperbau, die Kopf- und Gesichtsform, die Gesichtsfarbe, die Färbung und Beschaffenheit der Haut. Nicht nur die Physiognomik, sondern viele Lehren gehen davon aus, dass sich Körper und Geist gegenseitig beeinflussen und widerspiegeln. Erläutert wird diese Wechselwirkung gerne am Beispiel der Körperhaltung: Wer gesenkten Hauptes und mit hängenden Schultern umher schleicht, fühlt sich wohl anders als jemand, der aufgerichtet mit geschwellter Brust herumstolziert. Mit anderen Worten, jede Form trägt eine Information. Und unser äußeres Erscheinungsbild ist demnach die Form, die über unser Innenleben informiert.

Das gilt anscheinend auch für mich, den Autor dieser Zeilen: Bei einem Unternehmensgründertreffen in Ulm lernte ich den Gesundheitsmanager Thomas Schach aus Illerrieden kennen. Er betreibt und unterrichtet Psycho-Physiognomik. Das ist eine Anfang des 20. Jahrhunderts von Carl Huter weiter entwickelte Form der Physiognomik. Sie untersucht neben den körperlichen Merkmalen auch die Ausstrahlung eines Menschen, etwa sein Auftreten, seine Mimik und Gestik. Nun konnte ich schon mit Physiognomik nichts anfangen, geschweige denn mit dem Zungenbrecher Psycho-Physiognomik. So begann Thomas Schach, nicht von sich und seiner Arbeit zu erzählen, sondern von mir. Er schilderte, was ihm meine Gestalt, mein Gesicht und mein Auftreten verrieten über meine Stärken, meine Anliegen ... Ich war ziemlich beeindruckt. Denn vieles kam mir sehr bekannt vor, einiges wurde mir klarer.

Klar wurde mir dabei auch, dass Thomas Schach über seine Methode der Selbsterkenntnis und Menschenkenntnis in der Lebensfreude berichten sollte. Er kann hier die PsychoPhysiognomik, über die er ganze Wochenendseminare gibt, nicht umfassend darstellen. Aber er gibt uns einen Überblick, und zwar auf den folgenden beiden Seiten.

Die drei Grundnaturelle

Diese drei etwas antiquiert aussehenden Herren stecken anscheinend in jedem von uns. Denn sie stellen nach der Psycho-Physiognomik die sogenannten Grundnaturelle der Menschen dar.

Zu welchem dieser Grundnaturelle wir neigen, wird uns in die Wiege gelegt. Genauer gesagt, es entscheidet sich im Embryonalzustand. Denn ein paar Tage nach Befruchtung  entstehen aus der Eizelle die sogenannte Keimblase und daraus wiederum drei  Zellschichten, die „Keimblätter“: Aus dem inneren Keimblatt, dem Endoderm, entwickeln sich die Drüsen-, Stoffwechsel- und Verdauungsorgane und die Lungen, also das Ernährungssystem. Das mittlere Keimblatt ist das Mesoderm. Es bildet die Grundlage für das Bewegungssystem mit Skelett, Knochen, Muskeln, Sehnen und Herz-Kreislaufsystem Dem äußeren Keimblatt, dem Ektoderm, verdanken wir Gehirn, Rückenmark, Sinnesorgane wie Augen und Ohren und die Oberhaut, sprich: das Empfindungssystem. Jeder Mensch verfügt sinnvollerweise über alle drei Keimblätter und damit über ein Ernährungs-, Bewegungs- und Empfindungssystem. Aber gewöhnlich nicht in demselben Ausmaß. Bei den meisten Menschen sind ein oder zwei Keimblätter stärker ausgeprägt. Das zeigt sich in unterschiedlichen Körperbautypen, die Naturelle genannt werden. Und es zeigt sich - nach Beobachtung der PsychoPhysiognomik - in der Persönlichkeit, in den Bedürfnissen, Eigenarten, Charakterzügen.

Als Grundnaturelle werden dabei Menschentypen beschrieben, bei denen nur ein Keimblatt entwickelt ist. Solche Frauen oder Männer gibt es in der Realität eigentlich nicht. Denn niemand ist beispielsweise ein waschechter Ernährungstyp. Er hat immer auch andere Naturellanteile. Wenn wir nun uns selbst oder jemand anderen betrachten, können wir am Aussehen zuordnen, welche Grundnaturelle wohl vorherrschend sind. Daraus lassen sich Schlüsse auf die Persönlichkeit ziehen. Solche Rückschlüsse sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Denn in jedem Menschen spiegeln sich viele Einflüsse wieder: Seine Entwicklung, sein Temperament, seine Umgebung .... und natürlich sein freier Wille.

Das Ernährungsnaturell

Es wird auch Ruhenaturell genannt. Seine klassischen Vertreter sind mittelgroß und korpulent, mit rundlichem Kopf, fleischigem Gesicht und betonter Nasenspitze. Sie haben ruhige und gelassene Bewegungen. Entsprechend verhalten sie sich, also ruhig und abwartend. Sie sind gesellig, praktisch und bodenständig. Sie wissen gut zu wirtschaften und denken ökonomisch. So gehören sie zu den Zeitgenossen, die etwas erhalten und bewahren. Auch ihren Körperumfang. Ihre Korpulenz ist einfach natürlich.

Das Bewegungsnaturell

Vertreter dieses Naturells sind weniger gemütlich: Groß, knochig und muskulös, bestimmte und energische Bewegungen, gespannte Körperhaltung, länglich-kantiger Kopf, knochiges und sehniges Gesicht mit kraftvollen Knochenpartien, große Nase. Ihr Verhalten ist dynamisch, impulsgebend, kraftvoll, selbstbestimmt, diszipliniert, strukturiert, willensstark. Sie lieben ihre Freiheit und den körperlichen Einsatz. Nicht von ungefähr spricht man auch vom Tatnaturell.

Das Empfindungsnaturell

Das klassische Denk- und Empfindungsnaturell hat eine kleine, zarte und feine Gestalt sowie flinke und behutsame Bewegungen. Seine Oberstirn ist - verglichen mit dem übrigen Gesicht - groß. Hinzu kommen ein feines Untergesicht, große Augen und eine zarte Nase. Vertreter dieses zurückhaltenden und abtastenden Naturells sind empfindsam und feinfühlend, gefühlsbetont, visionär und kreativ. Sie gehen auf ihre Mitmenschen ein, orientieren sich am „Du“. Sie widmen sich seelischgeistigen Lebensbereichen und haben eine ausgeprägte Sinneswahrnehmung. Wer sie zum Essen einlädt, sollte vorsichtshalber nachfragen, ob sie vegetarische Kost bevorzugen.

 

Die drei Mischnaturelle

Meistens sind bei einem Menschen zwei Naturelle vorherrschend. Dann spricht die Psycho-Physiognomik von Mischnaturellen:

Das Ernährungs-Empfindungsnaturell

Seine Vertreter erscheinen rund und füllig wie ein Ernährungsnaturell, haben aber ein feineres Gewebe. Das spricht für größere Sensibilität und eine stärkere Ausstrahlung. Wie das Ernährungsnaturell schätzen sie Ruhe, Bequemlichkeit und gutes Essen. Doch ihr Verhalten ist geistiger und feinsinniger und fürsorglicher gegenüber den Mitmenschen.

Das Bewegungs-Ernährungsnaturell

Aus dieser Mischung entsteht die Fähigkeit, wirtschaftliches Denken mit großer Tatkraft umzusetzen. Es zählen weniger die Gefühle, sondern vor allem das Ergebnis. Dieser Typus des erfolgreichen Unternehmers nimmt gerne Einfluss. Er besticht durch Leistungsfähigkeit und Widerstandskraft, und zwar privat wie beruflich.

Das Bewegungs-Empfindungsnaturell

Der schlanke, kräftige, geschmeidig-wirkende Körperbau strahlt eine natürliche Eleganz aus. Dieses Naturell ist dynamisch und einfühlsam. Es hat die Kraft, neue Ideen umzusetzen. Es verkörpert den Typus des erfolgreichen Gelehrten.

Jeder Mensch ist einzigartig. Er passt in keine Schublade. Das zeigt sich auch an der Arbeit mit den Naturellen. Denn sie können in jeder Persönlichkeit völlig unterschiedlich ausgeprägt sein: Womöglich herrscht nur ein Naturell vor. Oder es dominieren zwei in unterschiedlichem Ausmaß, oder in gleicher Stärke. Vielleicht sind sogar alle drei Naturelle ebenbürtig vertreten. Es gibt unendlich viele Varianten. Die Naturelle können also nur Anhaltspunkte geben, um sich und seine Mitmenschen besser zu verstehen.

Die vier Temperamente

Vier Menschen verpassen den Bus. Der eine tobt, wütet und schimpft auf den überpünktlichen Busfahrer. Der zweite ist tief betrübt und beklagt voller Schuldgefühle, dass nur ihm ein solches Missgeschick geschehen könne. Der dritte findet es ganz prima, dass er schnell noch etwas einkaufen kann und per Autostopp viel günstiger vorankommt. Der vierte setzt sich gemächlich hin und wartet einfach. Bevor er sich endlich aufrafft, wieder aufzustehen, ist der nächste Bus womöglich auch schon weg.

Der Bus tat in allen vier Fällen dasselbe: Pünktlich losfahren. Wie der verspätete Passagier darauf reagiert, hängt von ihm ab. Die verschiedenen Gemütsreaktionen lassen sich mit der Lehre von den vier Temperamenten erklären. Dieses Persönlichkeitsmodell wurde - wenn auch nicht am Beispiel verpasster Busse - bereits in der Antike entwickelt. Auch die PsychoPhysiognomik setzt es ein. Denn sie zieht aus Sprechweise, Gesichtsausdruck und Gestik Rückschlüsse auf die grundlegenden Wesenszüge, eben auf die vier Temperamente:

Der willensstarke Choleriker

Der tobende Fahrgast, der den längst nicht mehr anwesenden Busfahrer beschimpft, ist ein feuriger Choleriker: Aufbrausend, impulsiv, schwungvoll, mit viel Tat- und Willenskraft. Entsprechend wirkt seine Körpersprache bestimmt und energisch. Haut und Muskeln sind fest und straff, die Lippen fest geschlossen. Die Mimik ist ausgeprägt und scheut keine Falten.

Der tiefgründige Melancholiker

Der Melancholiker nimmt den verpassten Bus so schwer wie das Leben an sich. Als ernsthafter Mensch mit großem Verantwortungsbewusstsein gibt er nur einem die Schuld an seinem Missgeschick, nämlich sich selbst. Sein nachdenkliches Wesen macht ihn gewissenhaft, gründlich und vorsichtig. Er geht in die Tiefe. Die antiken Philosophen ordneten ihm das Element Erde zu. Seine Körperhaltung erscheint eher schlaff und gebeugt. Die Haut neigt zur Blässe. Grübel- und Sorgenfalten durchziehen seine Stirn. Seine Sprechweise ist behutsam bis zögerlich.

Der luftige Sanguiniker

Für ihn besteht das Leben vor allem aus Chancen. Selbst eine unwesentliche Verspätung an der Bushaltestelle bietet völlig neue, erfreuliche Perspektiven. Dieser Optimist ist extrovertiert, lebensfroh, heiter, unbekümmert und vielleicht etwas sprunghaft. Er bewegt sich zwanglos bis schwingend. Haut und Muskeln sind elastisch. Sein Blick ist offen, seine Lippen sind locker. Er spricht gerne und lebhaft.

Der ruhige Phlegmatiker Der ruhige Phlegmatiker

Ihn bringt nichts aus der Ruhe, schon gar kein Bus. Er ist geduldig, bedächtig. Er wartet ab und lebt gerne nach dem Grundsatz: „Der Klügere gibt nach.“ Zugeordnet wird ihm das Element Wasser. Seine Bewegungen sind gemächlich und schwerfällig. Seine Haut und Muskeln wirken weich. Gesichtsausdruck und Stimme strahlen Ruhe aus. So spricht er auch: Langsam und ohne Betonung.

Wer nun im Freundes- oder Kollegenkreis nach dem reinen Choleriker, Melancholiker etc. sucht, wird sich schwer tun. Denn sämtliche vier Temperamente lassen sich mehr oder minder in jedem Menschen erkennen. Sie zeigen sich jedoch in unterschiedlichen Ausmaß und das auch nicht immer zur gleichen Zeit. Mal kann ein- und dieselbe Person cholerisch reagieren, mal eher melancholisch. Außerdem gibt es bei den Temperamenten wie beim Wein unterschiedliche Reifegrade: Der wahre Choleriker beispielsweise - so erklärte einmal ein Lehrer seinem jähzornigen Schüler - ist so willensstark, dass er sich selbst beherrscht. Dann hat er keine Wutausbrüche mehr. Man kann eben an allem arbeiten und sich entwickeln, auch an seinen Temperamenten.

Unser Gesicht

Wer einen Menschen kennen lernen will, schaut ihm ins Gesicht. Der Psycho-Physiognomiker tut das ebenfalls.

Er fängt dabei aber - natürlich nur in Gedanken - an, das Gesicht mehr oder minder zu vermessen. Denn er teilt es in drei Hauptzonen: Stirn, Mittelgesicht und Untergesicht. Er fragt sich, welche dieser Bereiche sind besonders ausgeprägt, also höher und breiter als die übrigen Zonen? Herrschen eine oder zwei Zonen vor oder besteht gar Ausgewogenheit zwischen allen Bereichen? Daraus zieht der Psycho-Physiognomiker Rückschlüsse darauf, wie sein Gegenüber handelt:

Ist die Stirn vorherrschend, deutet dies auf eher geistigeintellektuelle Anlagen, auf Ideenfülle, Wissensdurst und Verstandesorientierung. Der Bereich von Nasenwurzel bis -unterkante ist das Mittelgesicht. Es spricht für einen stärkeren Einfluss der Gefühle, für einen ausgeprägten Willen zur Darstellung, Repräsentation, Gestaltung und Selbstverwirklichung. Womöglich ist das Untergesicht - der Bereich um Mund und Kinn - größer als die übrigen Zonen. Daraus schließt der Psycho-Physiognomiker, dass die Handlungen stark vom Körperlichen gesteuert werden: Genuss, gutes Essen und Trinken und Geselligkeit werden geschätzt. Die Psycho-Physiognomik geht aber weiter in die Tiefe: Sie fragt, wie die einzelnen Gesichtsausdruckszonen - Nase, Mund, Augen, Ohren, Stirn ... - aussehen und zusammen wirken. Dabei steht jede dieser Ausdruckszonen für ein bestimmtes Thema, die Nase etwa für den Selbstverwirklichungswillen. Entsprechend gelten Menschen mit einer ausgeprägten Kiefer- und Kinnregion als zielorientiert. Wenn wir Ziele besser erreichen wollen, müssen wir nun nicht versuchen, das Kinn länger zu ziehen. Es gibt geeignetere Methoden, indem wir etwa an den inneren Einstellungen und Vorstellungen arbeiten. Die Psycho-Physiognomik bietet zwar ein umfassendes System, um Stärken und Neigungen besser zu erkennen. Aber was wir daraus machen, liegt an uns selbst. Denn jeder von uns ist nicht nur einzigartig, sondern auch ständig in Veränderung.

 


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