Der unfreiwillige Urlaubstag
Unalltägliche Alltagsgeschichten
hs. Wie jedes Jahr war eine Woche Urlaub im Bregenzerwald geplant. Und wie jedes Jahr war es kein gewöhnlicher Urlaub, sondern eine „Tangowoche“: Das tanzbegeisterte Ehepaar ließ sich - umgeben von imposanten Bergen und gemächlich weidenden Kühen - Schritte und Figuren des argentinischen Tango beibringen. Lehrerin des Kurses war übrigens die Schwester des Ehemannes, eine Profitänzerin aus Stuttgart. Außerdem begann - auch wie jedes Jahr - der Kurs kurz nach dem Geburtstag der Ehefrau.
Eine Besonderheit gab es aber diesmal: Der Kurs fand einen Tag früher statt als sonst.
Dagegen setzte sich eine Tradition wieder unverändert fort: Die sehr gesellige und beliebte Ehefrau feierte ihren Geburtstag mit etlichen, zum Teil weit angereisten Freunden. Heuer fiel das Fest auf einen Freitagabend. Alle saßen gemütlich beisammen in lauer Sommernacht, als der Ehemann beiläufig erwähnte, dass man diesmal ja schon am Samstag in der Urlaub fahre. Die Ehefrau schaute entsetzt: „Ich dachte, wir fahren erst am Sonntag.“ „Nein, der Kurs ist doch einen Tag vorverlegt worden.“„Schau noch mal in der E-Mail nach.“ Der Ehemann ging ins Haus, suchte die Informationsmail des Reiseveranstalters heraus und las: „Einen Tag vorverlegt“. Die Ehefrau hatte die Termine irgendwie anders in Erinnerung, glaubte aber natürlich ihrem Mann, zumal er ja von ihnen beiden eher der „Zahlen-Daten-Fakten-Mensch“ war.
Der folgende Tag verlief mehr als hektisch. Man räumte alle Festhinterlassenschaften auf. Die Gäste, die hier übernachtet hatten, halfen eifrig mit und bemühten sich danach, früh genug das Feld zu räumen. Die Ehefrau musste noch packen sowie Haus und Hof in einem Zustand bringen, in dem man beides für eine Woche alleine lassen konnte. Der Ehemann brachte noch einen wartungsbedürftigen Rechner weg und gab dem Empfänger gleich eine Forelle mit dazu, weil er sie selbst nicht mehr zubereiten, geschweige denn gemütlich essen konnte.
Mit ungefähr dreiviertelstündiger Verspätung saß das Ehepaar im Auto. Um wieder etwas Zeit zu gewinnen, fuhr die Frau. Selbst der Ehemann war irgendwie aufgewühlt, was sich daran zeigte, dass er nicht - wie üblich - in tiefen Beifahrerschlaf fiel.
Kurz bevor sie am Zielort hätte sein müssen, rief die Ehefrau ihre Schwägerin und Tanzlehrerin an, um ihr zu sagen, dass man etwa eine halbe Stunde später käme. Die Angerufene fragte erstaunt: „Wohin, nach Stuttgart oder in den Bregenzerwald?“ „Wieso nach Stuttgart, bist Du denn nicht im Bregenzerwald?“ „Nein, der Kurs beginnt doch erst morgen!“
Die Ehefrau reagierte bewundernswert - gelassen, ruhig, ohne ihrem Mann Vorwürfe zu machen. Dieser überlegte, wie er jetzt das vor kurzem in einem Seminar erlernte Prinzip anwende könne, in jeder noch so verfahrenen Situation etwas Gutes zu entdecken. Ihm fiel einfach nichts ein. Er musste nur daran denken, was er an dem Samstag noch alles hätte erledigen können und was seine arme Frau alles durchgemacht hatte.
Wie es zu dem Missgeschick kommen konnte, war nun schnell geklärt. Der Kurs begann tatsächlich einen Tag früher als sonst, nämlich nicht an dem üblichen Montag, sondern schon am Sonntag. Heute war aber Samstag.
Wieder zurückzufahren kam nicht in Frage, man war ja schon weit in Österreich. Also: Einen Tag früher anzureisen, bedeutet, eine Nacht früher das Zimmer zu buchen. Anruf bei dem Hotel: „Alles noch belegt“. Anruf bei anderen Hotels: „Nichts frei, wegen der Bregenzer Festspiele.“
Irgendwann fand sich doch ein - wenn auch alles andere als günstiges - Zimmer. Der Ehemann checkte ein, wurde dabei nach dem Geburtstag seiner Ehefrau gefragt und wusste diesen sofort auswendig - was ja auch nicht schwer war, nachdem er erst gestern stattgefunden hatte. Der Wirt zeigte sich jedoch von der spontanen Antwort beeindruckt: „Sie sind ja ein Muster-Ehemann.“ Davon war wiederum der Ehemann beeindruckt, denn so hatte er sich in den knapp dreißig Ehejahren noch nie gesehen.
Das Paar genoss ein gutes Abendessen, verbrachte einen sonnigen Sonntagmorgen im Freibad, ging mittags wieder gut essen, unterhielt sich mal in Ruhe und erschien - zum ersten Mal seit Jahren - entspannt und pünktlich zum Start des Tanzkurses. Beide waren nun überzeugt: Besser hätte der Urlaub gar nicht beginnen können.
Unalltägliche Alltagsgeschichten und sonstiges
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