Ausgabe vom 20. September 2025 - Besser Leben

Der Wunsch des Webers

Ein Märchen aus Nordindien

Erzählt von der ausgebildeten Märchenerzählerin Stefanie Keller (0152 54 13 68 30, wortzauber.org)
In einem kleinen Ort namens Panjar lebte einst ein Teppichweber namens Saragatta. Er war ein ruhiger, bescheidener Mann, der seine Arbeit liebte. Langsam und mit großer Hingabe führte er den Schuss durch die Kette, Tag für Tag, Woche um Woche. Ein ganzes Jahr brauchte er für einen einzigen Teppich – aber wenn er fertig war, war es ein wahres Meisterwerk.
Dennoch blieb Saragatta arm. Denn obwohl er seinen Teppich auf dem Markt für gutes Geld verkaufen konnte, reichte es kaum, um sich und seine drei Frauen zu ernähren: seine alte Mutter, seine kluge Frau und seine junge, lebhafte Tochter. Doch Saragatta klagte nicht. Er liebte, was er tat.
Eines Tages aber brach sein alter Webstuhl entzwei. Die Holme knackten, das Trittbrett splitterte, die ganze Konstruktion fiel in sich zusammen. Es war, als ob sein Herz selbst zerbrochen wäre. Er hatte kein Geld für einen neuen Webstuhl. Und der alte ließ sich nicht mehr reparieren. Da seufzte er und sprach: „Was bleibt mir anderes übrig, als mir selbst einen neuen zu bauen?“
Er nahm sein Beil und machte sich auf den Weg, um gutes, hartes Holz zu suchen. Tagelang wanderte er durch Wälder, über Hügel, durch Täler. Schließlich kam er an den Rand des Meeres.
Dort stand ein einzelner, knorriger Buchsbaum, vom Wind geformt, von der Sonne gestreichelt. Saragatta betrachtete ihn und nickte.
„Du bist der Richtige“, murmelte er und hob sein Beil.
Doch kaum hatte er ausgeholt, rief eine Stimme: „Halte ein, Saragatta!“
Der Weber fuhr zusammen. Er sah sich um – niemand war zu sehen.
Wieder erklang die Stimme, sanft und ernst zugleich: „Halte ein! Ich bin der Geist des Waldes, und dieser Baum ist mein Zuhause. Warum willst du ihn fällen?“
„Ich brauche Holz“, sagte Saragatta. „Mein Webstuhl ist zerbrochen, und ohne ihn kann ich nicht arbeiten. Lange habe ich gesucht, und dieser Baum scheint mir der einzige, der geeignet ist.“
„Ich lebe schon seit langer Zeit in diesem Baum“, antwortete der Geist. „Hier am Meer weht immer eine kühle Brise. Selbst in der heißen Zeit ist es angenehm. Bitte – verschone mein Zuhause.“
Saragatta seufzte tief. „Aber woher soll ich dann Holz nehmen?“
„Das weiß ich nicht“, sprach der Geist. „Doch wenn du meinen Baum stehen lässt, will ich dir einen Wunsch erfüllen – was immer du begehrst.“
Der Weber kratzte sich am Bart. „Ein Wunsch ist keine Kleinigkeit. Ich will mich beraten.“
„Geh nur“, sagte der Geist. „Aber lass dich nicht verwirren.“
Saragatta kehrte nach Hause zurück und erzählte seiner Familie, was ihm begegnet war.
Kaum hatte er geendet, da sagte seine alte Mutter: „Wünsch dir ein langes Leben in Gesundheit – für dich und für uns alle. Wenn man alt ist, weiß man: Das ist das größte Gut.“
„Unsinn!“ rief die Tochter. „Was nützt Gesundheit, wenn man arm ist? Wünsch dir, ein Maharadscha zu sein! Dann hätten wir goldene Kleider und funkelnden Schmuck – und ich könnte den schönsten Jünglingen den Kopf verdrehen!“
Doch die Frau des Webers schüttelte nur den Kopf. „Ein Maharadscha hat Pflichten, Sorgen und Feinde. Wünsch dir lieber, dass der Geist dir jeden Tag einen Teppich schenkt – so schön wie der, den du in einem Jahr webst. Dann sind wir reich, ohne unsere Ruhe zu verlieren.“
Nun war Saragatta verwirrter als zuvor. Drei Wünsche – drei Richtungen – kein klares Ziel.
Er ging langsam zurück zum Baum. Der Wind strich ihm durch das Haar. Er dachte an seine Hände, an den Klang des Webschiffchens, an die Muster, die unter seinen Fingern wuchsen.
Unter dem Buchsbaum blieb er stehen und rief: „Geist des Waldes, höre meinen Wunsch!“
„Sprich! Was immer du willst, soll dir gewährt werden.“
Saragatta atmete tief ein. Dann sagte er leise und bestimmt:
„Bringe meinen alten Webstuhl wieder in Ordnung.“
Eine Pause. Dann sprach der Geist: „So soll es sein.“
Als der Weber nach Hause kam, schimpften die drei Frauen – jede aus ihrem Grund.
Doch Saragatta setzte sich still an seinen Webstuhl. Er war ganz.
Er griff zum Schiffchen und begann zu weben – langsam und  sorgfältig, sorgfältig und langsam und immer mit Herz und Hand. Ein ganzes Jahr lang arbeitete er an seinem neuen Teppich. Und er war glücklich.


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